Der Prüfungsflug – Alles anders als geplant

Der erste Blick nach dem Aufstehen gilt heute dem Flugwetter. In der Nacht ist eine Front mit anhaltendem Niederschlag durchgezogen und für den Rest des Tages sind Schauer, Gewitter und heftige Windböen vorhergesagt. Ob mein Prüfungsflug unter diesen Umständen überhaupt stattfinden wird, ist alles andere als sicher. Während dem Frühstück studiere ich nochmals den Prüfungsbogen des Luftfahrt Bundesamtes (LBA). Ganz schön viel, was mich da heute erwartet.

Wetter hin oder her, schließlich halte ich es nicht mehr aus und fahre trotzdem zur Hahnweide. Heute ist Zweckoptimismus angesagt. Wie immer bin ich viel zu früh dran. Zwei Stunden vor dem eigentlichen Prüfungsbeginn sitze ich bereits im Briefing-Raum. Meine Prüferin hatte mich im Vorfeld gebeten, einen Flug nach Heubach (EDTH) zu planen, also genau jene Strecke, die ich gestern mit meinem Fluglehrer als Generalprobe absolviert habe.

Der Strich ist schon in meiner ICAO-Karte, das LBA-Formular für den Flugdurchführungsplan mit Vorder- und Rückseite ist vorbereitet, NOTAMs und GAFOR sind ausgedruckt. Ich prüfe nochmals akribisch alle Werte und überlege schon einmal was ich sagen werde, falls meine Prüferin mich danach fragt, wie ich zu dieser Planung komme. Unterdessen wandert mein Blick immer wieder nach draußen.

Eine dicke Schauerstaffel zieht schnell von Westen heran. Mein Schulungsflugzeug, die schöne Aquila, die ich während der letzten 45 Stunden wirklich sehr zu schätzen gelernt habe, ist noch mit einem anderen Flugschüler in der Platzrunde. Die Uhrzeit schreitet voran. Leichter Sprühregen setzt ein.

In weniger als einer Stunde wird meine Prüferin da sein und die Aquila ist noch immer in der Luft. Dabei möchte ich ganz gerne ohne Stress die Vorflugkontrolle durchführen. Als die Aquila endlich landet und auf das Vorfeld rollt, bin ich erleichtert.

Doch dann der erste Schreck. Der Flugschüler vor mir hat die Maschine bis zum Rand vollgetankt. Nach einer Stunde Platzrunden sind die Tanks noch deutlich mehr als 3/4 voll. So ist die Aquila definitiv zu schwer für den geplanten Prüfungsflug. Zudem ist die Graspiste mit dem Bezeichner 31 mittlerweile nass und aufgeweicht, so dass für die Berechnung der Startstrecke ein Aufschlag von 40% vorgesehen ist. Hektisch suche ich meinen Fluglehrer, der gerade aus einer Cessna 152 steigt und berichte ihm von meinem Problem. Nach einer kleinen Optimierung von Mass & Balance fehlen jedoch noch immer 40 Meter Startstrecke. Wir beschließen auf die Prüferin zu warten und im Zweifel die Aquila zu enttanken.

Noch gute 20 Minuten, bevor meine Prüferin die Flugschule erreicht. Dem Hören-Sagen nach legt sie großen Wert darauf, dass Flugplanung und Flugzeug bereits picobello vorbereitet sind, wenn sie zur Prüfung erscheint. Gerade als ich mit dem Fuel-Drain zum Flieger laufe, zieht ein heftiger Schauer über den Platz. Ich flüchte in den Hangar und hoffe, dass der Regen gleich wieder aufhört. Nervös schaue ich auf die Uhr.

Schließlich halte ich es nicht mehr aus, ziehe meine Jacke bis zur Nase zu und führe die Vorflugkontrolle im strömenden Regen durch. Sichtkontrolle, Tragflächen, Überziehwarnung, Pitot-Rohr, Tankentlüftung, Klappen, Querruder, Leitwerk, Höhenruder, Seitenruder, Fahrwerk, Bremsen, Motorraum, Propeller, fertig. Ich rette mich in den trockenen Briefing-Raum und tropfe erst einmal ab.

Als ich einigermaßen trocken bin, öffnet sich die Eingangstüre der Flugschule und meine Prüferin begrüßt mich bereits mit Namen. Da ich sie während meiner Flugausbildung bereits bei verschiedenen Gelegenheiten kennengelernt habe, freue ich mich sogar ein wenig, sie zu sehen.

Gemeinsam besprechen wir das Wetter. Die Wolkenuntergrenzen sind kritisch, wir benötigen 2.000ft AGL für den Airwork-Teil der Prüfung. Ein Blick auf das Regen-Radar des DWD verrät uns, dass die Schauer genau nach Heubach ziehen. So ein Mist, das darf doch wohl nicht wahr sein.

Hinter meinen verzweifelten Gedanken höre ich schließlich die Stimme der Prüferin. „Was halten Sie davon, wenn wir heute in die andere Richtung nach Westen fliegen, so sehen wir die Schauer auf uns zukommen und können bei Bedarf einfach nach Süden ausweichen. Die Landeübungen machen wir dann einfach hier am Platz, es geht ja wohl nicht anders…“

Verdutzt schaue ich sie an. Meine Stimmung hellt sich schlagartig auf. Weiss ich doch eigentlich vom Hören-Sagen, dass diese Prüferin ausschließlich nach Heubach fliegt. Eine grandiose Idee. „Das klingt prima!“ höre ich mich sagen. „Wir könnten z.B. Richtung Sulz VOR fliegen und als Wegpunkte Tübingen und Rottenburg nehmen…“ Zu meinem freudigen Erstaunen ist sie mit diesem Vorschlag einverstanden und bittet mich, die Strecke neu zu planen.

Dann wird es ernst. Sie nimmt meine Personalien auf, prüft Personalausweis, Medical und Flugbuch und beginnt dann ohne Umschweife mit der mündlichen Prüfung. Ich erläutere zunächst meine Flugplanung und versuche genau zu beschreiben, was ich mir dabei im Einzelnen gedacht habe. Die Auswahl der Wegpunkte, Auffanglinien, die Sicherheitsmindesthöhen, Wind, Beladung & Betankung, Startrollstrecken.

Ich beschließe des Problem mit der Startrollstrecke direkt anzusprechen und schlage als eine Lösungsmöglichkeit den Start von Piste 25 anstatt von Piste 31 vor. Die Piste 25 verfügt über einen 250 Meter langen Anrollstreifen aus Asphalt. Dass der weiter auffrischende Wind von 17 Knoten mittlerweile auf diese Piste gedreht hat, ist ein weiteres Argument. Ich bekomme die Aufgabe, die Startstrecke mittels des Flughandbuches zu ermitteln. Im Abschnitt Flugleistungen finde ich das entsprechende Diagramm und wir besprechen es gemeinsam. Mein Vorschlag funktioniert, die Startstrecke auf Piste 25 wird auch mit den vollen Tanks ausreichen. Ich soll ihr später bei dieser Gelegenheit gleich das Kurzstart-Verfahren demonstrieren.

„Na wie sieht das Wetter aus? Also, dann probieren wir es jetzt einfach!“ höre ich meine Prüferin schließlich sagen. Gemeinsam machen wir uns auf den Weg zum Flieger. Hier erwarten mich weitere Fragen zur Vorflugkontrolle sowie zu verschiedenen Einrichtungen des Flugzeuges. Etwa wie ein Tiefdecker Sprit bezieht, warum man eine elektrische Kraftstoffpumpe benötigt, was es mit der Tankentlüftung auf sich hat und für was welche Antennen da sind. Man bin ich froh, dass ich mich hierauf vorbereitet habe. Zwar kann ich eine Antenne nicht dem Transponder zuordnen, dies scheint jedoch nicht weiter wild zu sein.

Was ich bereits an dieser Stelle der Prüfung höchst erstaunlich finde: Irgendwie hat sich unsere Kommunikation gut aufeinander Eingeschwungen, die Stimmung ist freundlich und locker, ja es macht sogar richtig Spaß.

Endlich hüpfen wir in die Aquila. Meine Prüferin kündigt an, sich von jetzt an bis zum Sulz VOR wie ein Passagier zu benehmen und lediglich zu beobachten, was ich so mache. Ich arbeite mich durch die Checklisten, lese jeden Punkt laut vor und lege den Finger auf die entsprechenden Hebel und Schalter, bevor ich sie betätige. Der Motor ist noch warm. Leistungshebel 1cm nach vorne schieben, der Choke bleibt gedrückt. Der Propellerbereich ist frei und ich drehe den Zündschlüssel.

Brave Aquila, der Motor springt sofort an. Ich melde mich bei der Flugleitung über Funk und rolle gemütlich zum Rollhalt der Piste 25. Während ich die Run-Up tests durchführe, stellt mein „Passagier“ dann doch noch jede Menge Fragen. Etwa zur Magnet-Doppelzündung und zur Propellerverstellung. Endlich sind wir Abflugbereit. Nur noch ein Motorsegler kreuzt den Anflugsektor, dann geht es endlich los.

Kurzstart-Verfahren. Die Aquila ist auf der Piste 25 ausgerichtet, die Bremsen durchgetreten. Ich schiebe den Leistungshebel nach vorne, warte bis der Propeller die volle Drehzahl erreicht hat und löse die Bremsen. Der Wind ist gewaltig. Zwar kommen die 17 Knoten beinahe von vorne, Böen zerren die Maschine jedoch nach links und rechts von der Bahnmitte. Das Ende der Asphalt-Anrollstrecke kommt näher. Auf dem letzen Meter löst sich das Hauptfahrwerk vom Boden.

Turbulent geht es in den Steigflug über den Talwald. Trotzdem müssen wir beide lachen. Es ist so surreal, selten war ich so entspannt. Mit dem Flüsschen Neckar als Hilfe ist es auch ohne GPS oder VOR nicht schwer den Weg nach Tübingen und Rottenburg zu finden. Ich stoppe die Streckenabschnitte und es bleibt sogar ein wenig Zeit für eine wirklich nette Unterhaltung. Natürlich achte ich strikt auf die Einhaltung von Kurs und Höhe, die zulässigen Abweichungen sind schließlich klar festgelegt.

  • Flughöhe ±150ft
  • Kurs ±10°
  • Geschwindigkeit +15/-5 kt

Wer hätte das gedacht, am Morgen hatte ich noch Bammel vor dem Flug nach Heubach und nun fliege ich ausgerechnet zum Sulz VOR. Jene Strecke, die ich schon so oft geflogen bin und beinahe so gut kenne wie meine Westentasche. Wir passieren Tübingen und Rottenburg und ich notiere jeweils die Überflugzeiten.

Als nächste Aufgabe habe ich mit strammem Seitenwind eine stehende Peilung auf das Sulz VOR zu erfliegen. Ich raste die Frequenz, drehe den Kurs direkt auf das Funkfeuer und versuche einen Vorhaltewinkel zu finden, bei dem die Nadel genau in der Mitte stehen bleibt. Das klappt recht zügig, denn VORs bin ich schon während der Solo-Flüge zu genüge abgeflogen. Auch deshalb fällt die nächste Aufgabe, nämlich die Funkfeueranlage auf dem Boden zu identifizieren, leicht.

Kleinorientierung ist der nächste Programmpunkt. Hiervor hatte ich im Vorfeld die größten Bauchschmerzen. Irgendwelche Segelflugplätze in der Walachei zu finden gehört nun wirklich nicht zu meinen Lieblingsaufgaben. „Nehmen Sie mal ihre ICAO-Karte und fliegen Sie mich nach Rottweil-Zepfenhan (EDSZ)“.

Habe ich richtig gehört? Nach Zepfenhan? Jener Platz, an dem ich vor Jahren meine erste Schnupperflugstunde absolviert habe und jener Platz, von dem aus ich in einer Cessna Columbia 350 auf die AERO nach Friedrichshafen geflogen bin? Ich muss mir auf die Zunge beissen, um nicht vor Freude laut loszulachen. Von der Cessna Columbia erzähle ich meiner Prüferin trotzdem, es entwickelt sich ein tolles Gespräch daraus.

Den Funkmast hinter Rottweil direkt an der Albkante habe ich längst gespechtet, das Wäldchen, vor dem der Flugplatz Zepfenhan liegt ist auch schon in Sicht. Derweil steigen wir auf 4.000 ft, denn demnächst wollen wir mit der Airwork beginnen. Über Zepfenhan angekommen, kann ich den Flugplatz eindeutig identifizieren und auch diese Schreckensaufgabe ist sauber gelöst.

Die Airwork beginnt. Zunächst mit einer 180° Umkehrkurve, es folgen Langsamflug in Reisekonfiguration mit 80 kt und in Landekonfiguration mit 70 kt, Vollkreise in 45°-Steilkurven zu beiden Richtungen und das Überziehen in allen erdenklichen Varianten. Die gestern aufgekommenen Sorgen erweisen sich dabei als völlig unbegründet, sämtliche Übungen klappen hervorragend. Auch das Überziehen in der Sinkflugkurve mit dem darauf folgenden Pitch, Power und Bank wird von meiner Prüferin mit einem „sehr schön“ quittiert.

Sie möchte weiter auf die Schwäbische Alb. Nach rund 10 Minuten Flugzeit erreichen wir den ehemaligen Truppenübungsplatz in Münsingen. Meine nächste Aufgabe wird eine simulierte Außenlandung. Ich erläutere ihr die Auswahl meines Landefeldes sowie die Berücksichtigung des Windes, beantworte die Frage nach der Geschwindigkeit des besten Gleitens und beginne mit der Übung. Kraftstoffpumpe an, Vergaservorwärmung ziehen, Leistung Leerlauf, Propeller Start. Die Maschine auf Vg getrimmt geht es nach unten. „Prima, starten Sie durch, wir hätten überlebt!“ bekomme ich zu hören. Zwei Fliegen mit einer Klappe, das Durchstarten wäre somit auch erledigt.

Ein Regenschauer kommt uns in die quere, dennoch erhalte ich die Anweisung direkt zur Hahnweide zurückzufliegen. Während die Sicht weiter zurück geht, unterhalten wir uns kurz über Sichtminima und Lufträume. „Da vorne ist der Hohenneuffen“ kündige ich an und melde mich an der Hahnweide schon einmal über Funk.

Als wir näher kommen, sieht die Burg jedoch irgendwie komisch aus. „Das ist die Teck.“ meint meine Prüferin trocken. „Mist!“ entfährt es mir. „Ach wissen Sie, das ist der starke Wind, wir sind ganz schön abgedriftet!“ erläutert sie. „Ja genau…“, denke ich , „der Wind…“ *hüstel*

Die Platzrunde der Hahnweide ist in Sicht. Über dem Tiefenbachtal leite ich den Sinkflug ein. Eine Cessna startet gerade auf Piste 31 durch, als ich in den Gegenanflug eindrehe. Es bockt und stürmt über dem Talwald. Die 17 Knoten kommen genau 90° von der Seite. Im Queranflug werden wir ordentlich durchgeschüttelt und im Endanflug sacken wir einmal mächtig durch, als eine Böe nachlässt. Trotz allem macht das alles irgendwie großen Spaß. Ich bereite die Aquila für das Aufsetzen und Durchstarten vor. Das Seitenruder herzhaft getreten fliege ich die Aquila trotz des heftigen Seitenwindes sauber ausgerichtet auf die Schwelle zu. Kurz vor dem Aufsetzen erfasst eine heftige Böe die Tragflächen, die Maschine kippt nach rechts und sackt ab. Reflexartig arbeite ich mit Seitenruder und Höhenruder dagegen und zu meinem größten Erstaunen setzt sich die Aquila butterweich auf die Piste. „Das war ja mal eine klasse Landung, besonders bei diesen Bedingungen!“ ruft meine Prüferin begeistert. Wir starten durch.

Noch eine aller letzte Platzrunde, dann folgt die Abschlusslandung. Jetzt nur keinen Bock mehr schießen. Saubere Kurven, möglichst mit eine Querneigung von maximal 20°. Die Turbulenzen werfen die Aquila durch die Luft wie ein Spielzeug. Im Endanflug hat schließlich auch der Wind ein Nachsehen und beruhigt sich kurz. Ich schwebe die Aquila langsam aus, setze kaum hörbar auf und wir sind unten.

Ich rolle zum Vorfeld, gehe ein letztes Mal durch die Checkliste und stelle den Motor ab. Geschafft. Auf diesem 59. Flug hat einfach alles geklappt. Ohne besondere Fehler. Ich staune über mich selbst. Es war nicht nur mit Abstand mein bester Flug überhaupt, sondern auch der schönste! Ich kann mich nicht erinnern, auf einem anderen Flug so viel Spaß gehabt zu haben. „Herzlichen Glückwunsch!“ gratuliert meine Prüferin. Ich habe bestanden!

Zurück im Briefing-Raum füllen wir die notwendigen Papiere aus. Nun ist es amtlich und unwiderruflich. In dieser Sekunde bin ich der glücklichste Mensch der Welt. Ich nehme erfreut Glückwünsche von meinen beiden Fluglehrern entgegen und wir schießen noch ein paar schöne Erinnerungsfotos. Ich laufe sogar extra noch einmal auf das Vorfeld, um ein Bild von der Aquila im Nachmittagslicht zu schießen.

Und da stehe ich nun, auf dem nassen Asphalt vor meiner Maschine. Noch ganz bewegt von diesem großartigen Augenblick schaue in den Himmel und muss lächeln. Die Wolken öffnen sich und die Sonne strahlt durch das kräftige Blau direkt auf das Vorfeld der Hahnweide. Die Aquila spiegelt sich in einer großen Pfütze. Meine Prüferin sitzt noch bei einem Kaffee im Briefing-Raum. Und dann schiesst es mir wieder in den Sinn, das berühmte Lied von Reinhard Mey – Über den Wolken. Jede Zeile passt – welch ein unvergesslicher Tag! Ein bisschen wehmütig denke ich an meine erste Flugstunde zurück.

Mit meiner knapp 5-monatigen Flugausbildung geht eine wirklich aufregende Zeit zu Ende, die ich nie vergessen werde. So viele Eindrücke und Erlebnisse und so viele tolle Menschen werden mir in Erinnerung bleiben. Dabei geht es jetzt eigentlich erst richtig los. Mein neues Leben als Pilot.

Vielen Dank, dass ihr so zahlreich mein Blog gelesen habt, damit habe ich gar nicht gerechnet! Ihr habt mich während der gesamten Flugausbildung sehr motiviert.

Happy Landings!

Euer Joey.